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Reden wir über 2022: Ein Jahrgang im Zeichen von „Hitze der anderen Art“

29 März 2024

Jedes Jahr im März halte ich inne und verkoste den Wein. In aller Ruhe und mit Hingabe nehme ich eine Probe aus jedem Fass unserer Kellerei in Montefioralle. Mit diesem Ritual wird der Abschluss des alten und der Beginn eines neuen Zyklus zelebriert.

Da wir uns entschieden haben, kleine Fässer zu verwenden – ein Umstand, der hier nicht unser Thema ist -, verbringen wir einen langen Vormittag mit den Verkostungen, bei denen wir über 70 Proben beurteilen müssen. Diese Vorgehensweise entstand aus der Zusammenarbeit mit der uns beratenden Önologin Elisabetta und ist ein Schlüsselmoment für die Aufrechthaltung der Qualität und die Verhütung von Risiken wie bakterieller Verunreinigung oder übermäßiger Oxidation.

Die Proben aus den Fässern mit den Weinen des vorletzten Jahrgangs, in diesem Fall 2022, werden seriell verkostet, im Anschluss die Riserva, die Gran Selezione und der IGT Monteficalle des vorangehenden Jahrgangs, also 2021. Nach einem solchen Verkostungsvormittag können wir die Entwicklung der verschiedenen Jahrgänge auf jeden Fall mit mehr Klarheit bewerten.

Jahrgang 2021: Die Zeit überdauernde Eleganz

Der Jahrgang 2021 war zwar durch ein frostiges Frühjahr, das den Ertrag um 20 % gemindert hat, gezeichnet, sticht aber durch strenge Eleganz hervor. Wir dürfen Exzellenz erwarten, wenn wir den Jahrgang geduldig reifen lassen. Bald werden wir die Chianti Classico Riserva, den Monteficalle und die Gran Selezione in Flaschen abfüllen. Diese Weine legen Zeugnis für einen Jahrgang ab, der trotz einiger Schwierigkeiten sein Potential im Laufe der Jahre entfalten wird. Es ist etwas Geduld angesagt, um den richtigen Zeitpunkt für den Genuss eines erstaunlichen Jahrgangs abzuwarten.

Jahrgang 2022: Herausforderungen und Überraschungen

Ein paar Worte mehr möchte ich zum Jahrgang 2022 verlieren. Vor wenigen Tagen hat die Chianti Classico Collection ihre Tore geschlossen. Auf dieser Messe können die im Konsortium zusammengeschlossenen Winzer ihre Weine vorzustellen, bevor sie offiziell herauskommen. In diesem Jahr hat die Fachpresse die meiste Zeit darauf verwendet, über eben diesen Jahrgang 2022 zu berichten.

Ich muss vorausschicken, dass ich die Weine nie im Voraus als Fassproben auf die Collection bringe. Ein Grund dafür ist, dass mir die Abfüllung der Proben Mühe bereitet, der andere, dass ich einen Wein, den ich noch nicht als fertig betrachte, ungern von den Kritikern beurteilen lasse. Daher war unser Jahrgang 2022, der erst in den nächsten Monaten in Flaschen abgefüllt wird, noch nicht auf der Messe vertreten.

Ich habe aber gelesen, wie der Jahrgang 2022 von vielen Journalisten und Fachleuten beschrieben wurde. Ein Element taucht dabei fast immer auf: Es sei wieder einmal ein von Hitze gezeichneter Jahrgang, der die Winzer wegen des Klimawandels auf eine harte Probe stellt. Daher kämen also die rauen Tannine, unausgewogene Weine usw.

Der Klimawandel ist offensichtlich, vor allem für uns, die wir Wein erzeugen. Gewisse von Hitze geprägte Jahrgänge haben sich wegen den Herausforderungen, die wir bewältigen mussten, in meine Erinnerung angebrannt. Ich denke an die Ausnahmeerscheinungen (die schnell zur Normalität wurden) der schwülen Hitze im Jahr 2003, der Trockenheit im Jahr 2011, der großen Hitze im Jahr 2012 und an meinen großen Alptraum 2017, als es sehr heiß war und fast gar nicht geregnet hat.

2022 kann ich jedoch in keiner Weise in eine Reihe mit den eben erwähnten Jahrgängen stellen, obgleich es bei Betrachtung des Thermometers und der Wetteraufzeichnungen vielleicht das heißeste aller Jahre war. Doch irgendetwas war anders. Die Weinlesen der erwähnten Jahrgänge fanden alle in der ersten Septemberhälfte statt, während wir im Jahr 2022 bis Ende September warten konnten.

Ich erinnere mich gut daran, unsere Erntehelfer schon frühzeitig vorgewarnt zu haben, weil ich einen Einbruch der Säure befürchtete. Danach habe ich den Beginn der Weinlese aber mehrmals verschoben, da die Parameter noch ordentlich waren, und wir den Tanninen Zeit für die Ausreifung geben konnten.

Waren es die Regenfälle zu den richtigen Zeitpunkten im Frühjahr und dann in den Monaten August und September? War es die Entscheidung, den Beginn der Weinlese so lange wie möglich aufzuschieben? Ich weiß es nicht genau, ich weiß nur, dass ich unseren Chianti Classico 2022 in der allgemeinen Beschreibung der Fachpresse zu diesem Jahrgang nicht wiedererkenne. Bei der Verkostung habe ich ihn durchaus als fleischig und mächtig empfunden, aber gleichzeitig als gut ausbalanciert, da er frisch und vertikal am Gaumen ist. Sein Tannin ist akzentuiert, aber ausgereift, in gewisser Hinsicht ist dieser Wein fertiger als manch ältere Jahrgänge.

Entgegen den Erwartungen stellt sich unser Chianti Classico 2022 nicht wie ein Wein dar, der die Hitze einfach nur „überlebt“ hat, sondern wie ein Musterbeispiel unseres Terroirs, dem Verallgemeinerungen keinesfalls gerecht werden.

Abschließend haben Sie das Wort

Während wir der Abfüllung in Flaschen und der Herausgabe im Sommer entgegensehen, frage ich mich, ob mir eine Fata Morgana im Glas erschienen ist, oder ob wir in Montefioralle tatsächlich ein neues aufregendes Kapital der Geschichte des Chianti Classico geschrieben haben. Ihr Gaumen wird uns die Antwort auf diese Frage geben.